Mittwoch, 22. Juni 2011

Der fast Letzte seines Standes

Mein Bäcker beendet heute sein Backen.
Fünfundvierzig Jahre war er Bäcker, dreißig
Jahre kauften wir dort unser Brot und wir
liebten seine Gebäckstücke. Seine Stollen
zu Weihnachten waren eine Delikatesse.

Er buk nach Bäckerart, Natusauerteig, sein
Backofen war nicht zeitgesteuert, das fertige
Brot holte er heraus, wenn er es für richtig
hielt. Für die Liebhaber des hellen Brots
holte er die Laiber etwas früher aus dem Ofen,
für die, die die Kruste liebten etwas später.

Sein Sortiment an Broten, Kuchen, Brötchen
und anderen Backwaren war zwar übersichtlich,
trotzdem berfiedigte er alle Geschmäcker, seine
Kuchenangebote waren den Jahreszeiten angepasst,
dem Rhababerkuchen folgte Erdbeertorte, dieser
der Joannisbeerkuchen, dann kam Apfelkuchen.
Franfurter Kranz und eine dunkle Herrentorte gab es
immer, den Speckkuchen donnerstags, den Rosinenstuten
freitags, samstags Kümmelhörnchen.

Die letzten Jahre verbrachte der Bäcker seine
kurzen Nächte mit einem Beatmungsgerät.

Der Bäcker erzählt nicht gern, das Ladenegeschäft
regierte die Bäckersfrau, manchmal hatte sie
Aushilfen.

Als ich mich gestern von der Bäckersfrau verabschiedete
und zum ersten Mal das zur Bäckerei gehörende Café
aufsuchte, kam er ausnahmsweise dazu und wir begannen
eine interessante Plauderei.

Mein ehemaliger Bäcker geht zurück in sein Vaterhaus.
Ein altes Fachwerkhaus, eine halbe Stunde von hier ent-
fernt. Dort hat er vier Haflinger und geht schon ein
halbes Bäckerleben seiner Leidenschaft nach, dem
Gespannfahren. Er hat mehrere Kutschen, fährt aber
am liebsten sein Vierergespann mit einem alten
Landwirtschaftsanhänger. Er schwärmte über die
verschiedenen Anspann - und Lenkmethoden, verabscheut
die Peitsche, lenkt seine Pferde mit einem Laut
nach rechts, stoppt wiederum mit einem Laut, lenkt
mit leichtem Zuzzeln der Leine nach links und startet
mit einem Pfiffzischlaut das Gespann.
Wir unterhielten uns über die Charaktereigenschaften
von Pferd und Kuh. Mir persönlich ist die Begegnung
mit einem wilden Bullen lieber, als die Begegnung
mit einem scheuen Pferd.

Über Pferd und Kuh kamen wir auf einen Höhepunkt in seinem
Leben. Auf einer Gespannschau im Bayerischen sah er ein
Zwölfergespann mit Ziegenböcken. Das ist wirklich kaum zu
glauben, wer will kann das Spektakel ergoogeln.
Wir kennen, wenn überhaupt, die Deutsche Edelziege, das
Gespann wurde mit Bayerischen Waldziegen bestückt. Natürlich,
die Böcke waren allesamt kastriert.

Zwischenzeitlich war aus der kleinen Plauderei ein einziges
Schwärmen auf beiden Seiten geworden und der Bäcker gestand
mir seine Vision:

Mit dem Vierergespann bis ans Nordcap. Wenn das klappt und Pferde, Wagen
er selbst und sein noch nicht gefundener Begleiter das schaffen, auf
direktem Wege an den Südpol.

Wir hatten uns in Rage geschwärmt und guckten in unsere feuchten Augen.

Ja, sagte er, allein schaff ich das nicht, da müsste  jemand
mitkommen.


Also, bis ans Nordcap wäre mir zu riskant. Man könnte doch
eine Route bis Frankreich austüfteln, so um die vier Wochen, da
wär ich dabei, schlafen im Zelt, Essen und Trinken bekommen wir überall.


Das können wir machen, sie müssen mich besuchen, schon bald.
Dann machen wir erstmal eine Tagestour durch die Wälder. Wundern
sie sich aber nicht, ordentlich ist es bei mir nicht.


Die Bäckersfrau schrieb mir die Adresse und die Handynummer
auf.



Rufen sie ja vorher an!









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