Mittwoch, 1. Juni 2011

Telefonat mit einem stellvertretendem Chefredakteur

Heute konnte ich wegen Schlechtwetter nicht auf
meine Parzelle.

Ich lebe seit vierzig Jahren in einer
bedeutungslosen Stadt, gäbe es sie nicht,
kaum jemand würde sie vermissen. Gerade
dieser Umstand macht meine Stadt für mich
spannend und lebenswert.

Meine Stadt ist bettelarm.
Das Ordnungsamt hat zum Jahresbeginn
sechs neue Mitarbeiter eingestellt.
Die neuen Mitarbeiter müssen ihre
Gehälter durch Strafzettel selber
generieren und darüber hinaus den
leeren Geldsack der Stadt füllen.
Das ist nicht ungewöhnlich, andere
Städte machen das auch. Hochgerechnet
müssen die sechs Neuen immerhin
mindestens 500.000.- Euro erwirtschaften
360.000.- Euro fürs eigene Gehalt,
den Rest für die Schatullen der Stadt.

Mal eben zwei Minuten ohne Parkschein
in die Bäckerei oder die Postfiliale
ist bei uns nicht drin. Im Park gegenüber
lauert ein Ordnungsämtler schon am frühen
Morgen im Gebüsch und springt alten
Damen entgegen, sobald deren Dackel
das Bein heben.

Das führt zum Verdruss bei hiesigen
Einwohnern.

Seit vierzig Jahren habe ich das Regionalblatt
im Abo. Das Regionalblatt untersützt, an
allen Realitäten vorbei, die Freunde
von Ordnung und Sauberkeit.

Mein Abo habe ich gestern gekündigt,
mir gefiel die einseitige Berichterstattung
nicht mehr und ich las sowieso nur
die Todes- und Kleinanzeigen. Fünfundzwanzig
Euro pro Monat entsprechen sechs Quadratmeter
Fichte Rauspund.

Im Irrglauben, der Chefredakteur sei
daran interessiert, warum es bei uns
statt ehemals sieben Abonennten jetzt
nur noch eine Abonennentin gibt, schrieb
ich diesem mit meiner Kündigung eine
Begründung zu dieser.

Wenn bei mir morgens das Telefon klingelt,
ist die Nachricht schlecht, hat sich der Anrufer
verwählt oder es handelt sich um unerlaubte
Werbung.

Heute um 11.00 Uhr klingelte das Telefon
hartnäckig lang.

Rogalla

Guten Morgen Herr Rogalla, ich bin
A und stellvertrender Chefredakteur
ihrer Zeitung, der Chefredakteur Herr
B ist in Rumänien im Urlaub.


Was macht denn Herr B in Rumänien,
er wird doch nicht  seine Kriminalromane
promoten?


Es ist wirklich so, der Chefredakteur schreibt
Kriminalromane, sein Stellvertreter schreibt
in der Regionalzeitung wohlwollende Kritiken
dazu. Der Chefredakteur liest auch öffentlich
und über diese Lesungen wird dann am Folgetag
halbseitig berichtet.

Nein Herr B macht Familienurlaub. Ich würde
gern mit ihnen über ihre Kritik an unserer
Berichterstattung reden. Haben sie ein paar
Minuten Zeit?

Zeit habe ich schon, aber eigentlich habe
ich ihnen ja alles schriftlich mitgeteilt.

Ihre Kritik kann ich nicht so im Raum stehen
lassen. Nehmen wir nur Mal die Sache mit den
Junkies vor der Kirche. Sehen sie, ich selbst
habe Fräulein X nach Kiel zur Besichtigung des
Trinkerraums geschickt und bald werden wir hier
auch einen Trinkerraum haben.


Herr A, ich neide wirklich nicht ihrer Dame
die Dienstreise nach Kiel.
Sie geben mir da eine gute Vorlage.
Ich schätze grob, ungefähr werden an die hundert
Städte in ähnlicher Situation sein und ich habe
bei meiner Kritik ja nur gedacht, Kiel ist eine
von hundert Städten mit einem Trinkerraum. In den
restlichen neunundneunzig Städten hat man doch
sehr wahrscheinlich auch mit Fachleuten über
das Prblem nachgedacht und sich nicht ohne Grund
gegen Trinkerräume entschieden. Soweit ich das
richtig sehe mit der Kirche wird dort wohl eher
gefixt als getrunken. Der neue Kirchenmitarbeiter
sammelt gebrauchte Spritzen ein, damit sich die
Kirchgänger sonntags nicht noch AIDS oder Hepatitis
holen. So erinnere ich jedenfalls ihre Berichterstattung.
Und wenn ihr Fräulein X nun als die Problemlöserin
die Stadt erfreut, will ich mich ja auch nur
wundern dürfen.

Gut, wir haben da unterschiedliche Meinungen.

Ihre Berichterstattung über die Anlage ist nicht
fair Herr A. Wie schön war es, als die ersten
Sonnenstrahlen im Frühjahr kamen und sich die
Anlage füllte. Da wurde gegrillt, ganze Familien
feierten den Frühlung. Jugendliche kamen in
Gruppen, probierten sich aus...Hier wurde

Goethes Osterspaziergang erfahrbar.


..und produzierten Müllberge..

..wo sollen sie denn hin, viele haben kein Geld
um sich in Kneipen zu treffen. Unsere Stadt ist

arm wie die letzte Kirchenmaus.


Das können sie nicht sagen, unsere Stadt ist
nicht arm. Denken sie an das Kulturangebot.


Was soll das denn heißen? Wenn eine Stadt
jeden Haushalt vom Regierungspräsidenten
genehmigen lassen muss, ist sie so arm, wie
es ärmer nicht geht. Gegen unsere Stadt
ist Griechenland das Land wo Milch und
Honig fließen.


Bald haben wir ein Weltkulturerbe vor der Haustür.

Warten wir mal ab.


Sie werden es shen.




Die Razzien des Ornungsamtes waren unangemessen. 

Nana Herr Rogalla....

Das Ordnungamt hat jeden aufgeschrieben, der im Verdacht stand,
seinen Abfall nicht zu etnsorgen, sozusagen
Vorratsdatenspeicherung aufgrund eines Verdachtes
eine Ordnungswidrigkeit begehen zu können. Das
Ordnungsamt weigert sich beharrlich, Auskunft
über Verwendung der Datensammlungen zu geben.
Warum thematisieren das denn nicht. Sie weideten
sich doch ganzseitig an den Datenschutzpannen
bei Sony und Apple!






Das sind unterschiedliche Baustellen.

Die Anlage gleicht jedenfalls
jetz nach Einbruch der Dunkelheit
einem Friedhof.  Lassen sich im Dunkeln mehr
als zwei Menschen dort nieder, rückt umgehend
die Polizei an, postiert sich mit Blaulicht
vor den Niedergelassenen und beleuchtet die
Szenerie mit Fernlicht. Da fühlen sie sich
rasch in eine fremde Welt versetzt, wenn
nachts fiedliches Grün von blauen Lichtblitzen
durchzuckt wird.


Ich sehe das anders.

Das hab ich mir gedacht. Aber nur solange, bis sich
ihr eigener Sohn auf eine attraktive Stelle bei der
Stadt bewirbt und ihm der Personalchef die schlichte
Anwesenheit im Frühjahr 2011 in einer öffentlichen
Anlage klagend unter die Nase hält.

Das wollen wir aber nicht hoffen.

Na gut, ich nahm ja auch nur an, die Bedeutung
einer Zeitung misst sich an der Anzahl ihrer Abonennten,
ähnlich wie bei den Parteien. Die Mitgliederzahl
der SPD ist ja auf dem Stand von 1906 geschrumpft.

Wenn sie das so sehen muss ich ihnen entgegnen,
die Frankfurter Rundschau ist die Tageszeitung
mit der niedrigsten Abonenntenzahl in Deutschland.

Aber die haben doch ganz andere Vertriebsstrukturen.
In Frankfurt können sie alle zwanzig Meter eine
Rundschau kaufen, selbst an Ampelkreuzung, direkt
durchs Autofenster.

Ich bedauere jeden Redakteur, der seinen Job verliert.
Das sind schon einige bei der Rundschau. Trotzdem,
gutes Blatt.

Wie bitte, sie bdauern jeden entlassenen Redakteur.
Sie waren doch Lehrmeister der jetzigen Chefredakteurin
der Fratz. Als erste Amtshandlung hat die Dame doch
alle Auslandskorrespontenten gefeuert.

Dazu müssen sie Frau C selber fragen.

Ich frage überhaupt nicht mehr.

Sie bleiben also bei ihrer Kündigung?

Genau.

Na, dann wünsche ich ihnen noch einen schönen Tag.

Ebenso.





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